Freitag, 4. November 2016

Der Herr lobt Franz Cleverle

In Zeiten, da gültige Ehen nicht mehr geschlossen werden können, weil niemand mehr versteht, welch gelegentlich ausgedehnten Zeiträume mit dem Versprechen einer „lebenslangen“ Treue verbunden sein können, ist man leicht geneigt, realistischere Ansprüche zu stellen:
Was hast du getan – permanenter Ehebruch? Sagen wir: du kümmerst dich um die Kinder der neuen Beziehung. Und du – Sodomie? Sagen wir: man übernimmt Verantwortung für einander.
Und der Herr lobte die Klugheit des gegenwärtigen Papstes und sagte: Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes.
Es ist schon beeindruckend, mit welchem Eifer manche Bischöfe sich beliebt zu machen bestrebt sind; wer hätte ihnen solche Weitsicht bei der Nach-Rücktritts-Versorgungsplanung zugetraut.

Komisch, dass Paulus nicht mitzieht, wenn er mäkelt:
Denn viele - von denen ich oft zu euch gesprochen habe, doch jetzt unter Tränen spreche - leben als Feinde des Kreuzes Christi. Ihr Ende ist das Verderben, ihr Gott der Bauch; ihr Ruhm besteht in ihrer Schande; Irdisches haben sie im Sinn.




Donnerstag, 3. November 2016

Was weiß ich

Nach langen Streitgesprächen mit seinen Freunden und Gehadere mit Gott kam Ijob schließlich zu einer Einsicht: Ganz sicher aber weiß ich, dass …

Was er aber nun weiß, erschließt sich aus dem überlieferten Text scheint’s unvollständig, wie aus der Vielzahl der unterschiedlichen Übersetzungsversuche erhellt.

Nehmen wir zuerst mal Ijob 19,25 aus der HBS und multiplizieren mit dem Wörterbuch, so ergibt sich:
Und ich merke/erfahre/erkenne/verstehe: mein Erlöser/Bluträcher lebendig/frisch, und wird als Hinterer/Zweiter/Künftiger/Letzter über/auf dem Staub/Lehm/Erdboden/Schutt aufstehen/sich erheben/Bestand haben/stehen.
Schon die Alten scheinen sich nicht mehr recht sicher gewesen zu sein, was dies heißen könnte, denn die Septuaginta hat: „ewig ist, der mich erlösen wird auf der Erde“, mit einem klaren Diesseits-Bezug und der Erwartung einer innerweltlichen Wiedergutmachung, wie ja auch schließlich Ijob zu neuen Besitztümern und Kindern kommt. Okay, aber hm.

Der Heilige Hieronymus hat in der Vulgata eine eher endzeitliche Vision, macht allerdings einen Grammatikfehler, wenn er übersetzt: "mein Erlöser lebt und ich am Ende von der Erde auferstehen werde".

Interessant die Idee, den Goel als Anwalt/Vertreter/Verteidiger zu sehen, wie z.B. in
Zürcher Bibel: mein Anwalt lebt, und ein Vertreter ersteht (mir) über dem Staube.
Rießler: für mich lebt ein Verteidiger, und schließlich tritt er doch auf Erden auf.
In vielen Übersetzungen weiß Ijob, dass sein Erlöser auf dieser unserer Erde stehen wird; deutlich unklarer scheint zu sein, ob der Erlöser „als Letzter“ (wie soll man das verstehen? alle Menschen sind hinweggerafft und einer bleibt übrig?) oder „zuletzt/schließlich/am Ende/zukünftig“ (was ja irgendwie voll einsichtig ist) steht.

Beliebte Varianten dazu sind:
Nova vulgata: mein Erlöser lebt und wird am Ende über dem Staub stehen.
Einheitsübersetzung: mein Erlöser lebt, als Letzter erhebt er sich über dem Staub.
Elberfelder: mein Erlöser lebt; und als der letzte wird er über dem Staub stehen
Luther 1984: mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben.
Pattloch: mein Verteidiger lebt, und als letzter wird er über dem Erdenstaub auftreten.
Schlachter 2000: mein Erlöser lebt, und zuletzt wird er sich über den Staub erheben.
English Standard Version: mein Erlöser lebt, und am Ende wird er auf der Erde stehen.
King James Version: mein Erlöser lebt, und dass er wird am späteren Tag auf der Erde stehen.
Segond 21: der mich erlöst lebendig ist und dass er sich zuletzt über der Erde erheben wird.
Český ekumenický překlad: mein Erlöser lebt, und schließlich wird er auf der Erde stehen.
Slovo na cestu: mein Erlöser lebt, und schließlich auf der Erde stehen wird.
Holman Christian Standard Bible. [Ich kenne] meinen lebendigen Erlöser, und Er wird am Ende auf dem Staub stehen.
Nur zur Erheiterung einige phantasiegeschwängerte Versuche:
Hoffnung für alle: mein Erlöser lebt; auf dieser todgeweihten Erde spricht er das letzte Wort!
Gute Nachricht Bibel: Gott, mein Anwalt lebt! Er spricht das letzte Wort hier auf der Erde.
Neues Leben: mein Erlöser lebt und auf dieser Erde das letzte Wort haben wird
Neue evangelistische Übersetzung: mein Erlöser lebt, er steht am Schluss über dem Tod.
Bible du Semeur: mein Verteidiger ist lebendig: er wird sich erheben über die Erde, um das Urteil zu verkünden.
Het Boek: mein Erlöser lebt und dass er schließlich mit seinen Füßen auf der Erde stehen wird.
Nueva Version Internacion: mein Erlöser lebt, und dass am Ende er triumphieren wird über den Tod.
O Livro: mein Erlöser lebt, und bei ihm wird sein das letzte Wort zu meiner Verteidigung.
Nya Levande Bibeln: mein Erlöser lebt und mir endlich nahe sein wird.
Bibelen på hverdagsdansk: es jemanden gibt, der mich befreien wird, und er auf der Erde stehen wird.
Insgesamt finde ich die konkrete Messias-Erwartung, dass nämlich Gott, der Erlöser, persönlich auf der Erde wandeln wird, am verständlichsten:
Ich weiß gewiss: mein Erlöser lebt und wird künftig auf dem Erdboden stehen.


Mittwoch, 2. November 2016

Paul meint: Ball flach halten

Zu den immer wieder erstaunlichen Entdeckungen eines Sinnes in den Paulus-Briefen trägt ein Blick auf Röm 12,15f. bei.

Die Einheitsübersetzung hat
15 Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!
16 Seid untereinander eines Sinnes; strebt nicht hoch hinaus, sondern bleibt demütig! Haltet euch nicht selbst für weise!
was mir noch nie recht einleuchten wollte, weil erstens zum gleichen Thema in 1 Kor 12, 31a („Strebt aber nach den höheren Gnadengaben“) etwas ganz anderes geschlussfolgert wurde und zweitens hier nur wenige Worte vorher noch die rechte Weise des prophetischen Redens und Lehrens eingeschärft wurde, was den einheitsübersetzt implizierten Gegensatz von Nachdenken und Demut seltsam erscheinen lässt. Wieso sollte Paulus von den Römern fordern, dass alle gleich dumm bleiben?

Hier mal zum Vergleich, was ich dort lese:
Sich freuen mit den Sich-Freuenden, zu weinen mit den Weinenden:
Auf das gleiche [Prinzip] seid auch gegeneinander bedacht; nicht über Abgehobenes spinntisierend, sondern die einfachen Gemüter mitnehmend, fangt nicht an, untereinander zu vernünfteln.
Es wäre dann nicht generell dem Nachdenken ein Verweis erteilt, sondern dem Klugscheißen gegenüber Leuten, denen eine tiefergehende Reflexion eher zur Verwirrung gereicht [und möglicherweise deren Antworten, die den Weisen um seine Gemütsruhe bringen können, was anscheinend in der angeschriebenen Gemeinde das größere Problem war, wenn ich die vorangehenden Verse, speziell Röm 12,3 (überschätzt eure eigene Schlauheit nicht, sondern jeder sei darauf bedacht, so vernünftig zu sein, wie es ihm Gott gegeben hat) richtig verstehe].

Während ich zugeben muss, dass meine Lesung doch sehr verschieden von der Einheitsübersetzung ist, möchte ich zu Gute gehalten wissen, dass das Wörterbuch für phronountes (das am Anfang von Vers 16 zwei Mal gleich hintereinander vorkommt: „das Gleiche gegen einander phronountes, nicht die Hohen phronountes“) zwar alle möglichen Bedeutungen angibt (z.B. denken, vernünftig / klug sein; einsehen, verstehen, wissen; urteilen; bedacht sein auf; gesinnt sein), allerdings keine, die mir eine Wiedergabe von „nicht die Hohen phronountes“ mit „strebt nicht hoch hinaus“ zwingend oder auch nur halb-richtig erscheinen lässt.
Übrigens vermag ich in „die Geringen mitwegführend“ auch kein „bleibt demütig“ zu entdecken.

Insgesamt würde ich meinen wollen, Paul mahnt die Römer: Lasst es gut sein mit eurer Zänkerei; erstens sag ich euch mal, wie es ist (Röm 11,25: „Damit ihr euch nicht auf eigene Einsicht verlasst, Brüder, sollt ihr dies Geheimnis wissen …“) und zweitens sollten manche Leute das Denken lieber den Pferden überlassen (wegen des größeren Kopfes) und die anderen den Ball flach halten und jeder zusehen, dass er mit seinem bißchen Glaube zurechtkomme, wie es eben gehen will.

Sonntag, 30. Oktober 2016

Der neue Schludder

Zuerst die gute Nachricht: in der F.A.Z. macht man sich anlässlich des päpstlichen Schwedenbesuchs Gedanken.

Und jetzt zu den Details:

Der Autor attestiert der Kirche im Rahmen der „Interpretation der Interpretation der Interpretation des päpstlichen Schreibens [Amoris laetitia]“ eine „Selbstabschaffung ihres religiösen Lehramtes“, wobei zu einem Interview von Walter Kaspar bemerkt wird: „Er bescheinigt den Papst nicht, er habe schludrig gearbeitet, die Dinge schlecht durchdacht, nicht klar genug formuliert“, obwohl das in des Autors Augen möglicherweise eine treffende Beschreibung ist, zumal er auch einen Freiburger Theologen Helmut Hoping mit den Worten „Aktuell sehe ich die Gefahr darin, dass das päpstliche Lehramt durch lehrmäßige Unklarheit und irritierende Spontanäußerungen seine Autorität verspielt“ zitiert.

Nach Exkursen, z.B. über die Ökomene in Wittenberg, will sagen, dass unter dem gegenwärtigen Pontifikat die Rückkehr der verlorenen Schafe in den Schoß der Heiligen Mutter Kirche weniger wahrscheinlich scheint als ein General-Exodus aus der Sklaverei der Doktrin („Ist Franziskus der Luther von 2017? Macht er in einer Art historischer Punktlandung aus der katholischen Kirche die reformierte Einheitskirche?“) kommt man zum Schluss:
Was aber, wenn sich, wie im vorliegenden Fall, die Kontroversen gar nicht auf einen theologischen Dissens berufen, sondern schlicht auf die Unmöglichkeit, zu verstehen, was gemeint ist? … Es würde dann selbst für Kirchenmitglieder belanglos werden, was ein Papst sagt. … Ein Glaube wie der christliche, der sich auf seine Vernunft (und also auf intellektuelle Standards) etwas einbildet, bekäme 2017 eine Verlustrechnung zugestellt.
Naja, wenn durch das gegenwärtige Pontifikat endlich der christliche Vernunftsdünkel korrigiert wird, ist ja alles in Buther.

Tippfehler im Lukasevangelium

Das gerne mit Ausmalbildchen verkündete Evangelium von Zakchäus („Der war ja auch klein von Wuchs, da können sich die Kinderlein gut hineinversetzen“) mit seiner sozialreformerischen Auslegung („Man muss aber auch immer den anderen etwas abgeben, gelle?!“) scheint bei Lukas falsch überliefert zu sein, denn da wird „Heil diesem Haus“ statt „Heil den Armen dieser Stadt“ gelesen.

Erinnert mich etwas an eine kürzlich rezipierte Statistik, wonach die 64 reichsten Personen auf diesem Planeten genausoviel besitzen wie die ärmsten 75% des Rests. Was natürlich unmittelbar mit der Forderung verknüpft wurde, sofort zu enteignen und zu verteilen. Worauf ein geschickter Rechner herausgefunden hat, dass dabei jedem Armen etwa 34 Cent (wobei ich jetzt nicht genau erinnere, ob Dollar- oder Euro-Cent) zufallen würden.

Jetzt fehlt es bei Lukas etwas an präzisen Angaben, wie viel genau Zakchäusens Hälfte des Vermögens ausmachte oder wie vielen Bettlern die Gabe zugute kommen sollte, weshalb nicht genau feststeht, ob auch im Evangelium ein 34-Cent-Heil bejubelt wird.

Soviel zur Stirnpatsch-Exegese.

[Nur für den unsicheren potentiellen Leser: das Heil liegt in der Abkehr von der Habgier, die sich in der Verteilung der Vermögenshälfte und in der Wiedergutmachung (im Juristendeutsch: „Buße“) des erpressten Schadens manifestiert, nicht in irgendwelchen ökonomischen Folgen für Dritte. Weshalb das Heil dem Haus des Zakchäus zugesprochen ist, nicht den Nutznießern seiner Bekehrung.]


Was ich aber interessant fand, war die prophetische Rede der Murrenden, die sprachen: Bei einem sündigen Mann tritt er ein katalûsai.

Kataluo meint u.a. losbinden, ausspannen (die Ochsen aus dem Joch, z.B.) und dann figürlich „Halt machen, um auszuruhen; einkehren“. Und während die Sehenden alle murrten über das Einkehren, sprachen sie wahr: Jesus kehrt ein, um den Sünder von seiner Sünde loszubinden.

Daher will ich dich rühmen, mein Gott und König, und deinen Namen preisen immer und ewig, denn du siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie sich bekehren.

Freitag, 28. Oktober 2016

Gnadengenossen

Bei Sätzen wie
weil ich euch ins Herz geschlossen habe. Denn ihr alle habt Anteil an der Gnade, die mir durch meine Gefangenschaft und die Verteidigung und Bekräftigung des Evangeliums gewährt ist. (Phil 1,7)
pflegten mir in meinem jugendlichen Ungestüm unbehagliche Gefühle geweckt zu werden, etwa entlang der Linie „Für wen halten Paulus, der bekommen zu haben glaubt allein die Gnade, wovon Bröckchen oder Anteile fallen weiter auf andere?!“

Dergleichen löst sich durch Blick auf das tatsächlich Geschriebene sofort auf, denn dort heißt es eher:
denn ich habe im Herzen euch, die ihr alle trotz meiner Fesseln durch die Verteidigung und das Feststehen im Evangelium meine Gnadengenossen seid.
[Dass die Philipper Genossen im Eifer für das Evangelum sind, wurde zwei Verse vorher gesagt: „wegen eurer Teilnahme für das Evangelium“ bzw. in der „Übersetzung“: „und danke Gott dafür, dass ihr euch gemeinsam für das Evangelium eingesetzt habt“.]

Der Hang zur freiphantastischen Zudichtung von Wörten scheint bei der Überarbeitung der Einheitsübersetzung unverändert geblieben zu sein.




Montag, 24. Oktober 2016

Wehe den Weltgewandten!

Zur Erläuterung des mir im Kopfe schwirrenden Gedankens muss ich soweit ausholen, dass ich aufpassen muss, mir nicht den Arm zu verrenken und zu vergessen, was ich eigentlich sagen wollte, daher benenne ich zunächst das Ziel:
Um beim Internet-Niveaulimbo mithalten zu können, stach mich der Hafer, eine Rubrik „kenntnisfrei und meinungsstark“ einzurichten, wovon mir aber Paulus abriet.

Der Paulus also. Bei manchen Übersetzungen seiner Briefe werden den vom ihm verwendeten Wörtern Bedeutungen zugewiesen, die so stark von der im gemeingriechischen Gebrauch üblichen abweichen, dass man sich fragen kann, ob Paulus eigentlich wirklich etwas mitteilen oder eine neue Sprache erfinden wollte.

Das in Eph 5,4 vorkommende eutrapelía grenzt an diesen Bereich.
Eu-trapelos ist nach Pape jemand, „der sich leicht wendet, gewandt“ ist und wird insbesondere gesagt „von einem Menschen, der sich in die Umstände zu fügen, mit Andern fein umzugehen versteht, bes[onders] auch artige u[nd] feine Scherze macht“. Damit stehe es nach Aristoteles in der Mitte zwischen speichelleckerischer Possenreißerei und bäurischem Betragen und bedeute Eutrapelia also Artigkeit, Witz (im Sinne von Esprit, Geistreichtum), wobei Aristoteles „aber auch hinzusetzt, daß man es aus Liebe zum Scherz nicht immer so genau nehme“. Pape vergisst nicht zu erwähnen, dass das Wort in Eph 5,4 im schlimmen Sinne verstanden werden muss, worauf man auch selbst kommen kann, weil es in einer Reihe mit „Zoten und Dummschwatz“ steht und zur Ergänzung von „Hurerei und alle Unreinheit oder Habgier“ den Götzdienst charakterisiert, der vom „Erbteil im Reich Christi und Gottes“ ausschließt.

Etwas unklar bleibt, was so schlimm daran ist, mit seinen Mitmenschen gut auszukommen statt bierernst und stocksteif überall mit seiner Aufrichtigkeit anzuecken. Dies herauszufinden bleibt dem geneigten Leser zur Übung überlassen, wie man so gerne in Lehrbüchern an den schwierigen Stellen sagt.

In diesem Sinne: Schlagt eure Kinder, aber nicht ins Gesicht!


Sonntag, 23. Oktober 2016

Aus Alt macht neu



Die Überarbeitung der Einheitsübersetzung zeigt eine ihrer Früchte in der Tageslesung, wo in Sir 35,20 statt des bisherigen

Die Nöte des Unterdrückten nehmen ein Ende, das Schreien des Elenden verstummt.

jetzt

Wer Gott wohlgefällig dient, der wird angenommen, und sein Bittruf erreicht die Wolken.

steht, in besserer Übereinstimmung mit der Nova Vulgata, die liest

Qui adorat Deum, in beneplacito suscipietur,
et deprecatio illius usque ad nubes propinquabit.

(Wer Gott anbetet, wird in Wohlgefallen aufgenommen,
und sein Flehen nähert sich den Wolken.)

Ob in Wohlgefallen gedient oder aufgenommen wird, geht aus dem Original (Wortstellung beibehalten) nicht hervor:

qerapeÚwn ün eÙdok|v decq»setai, ka@ ¹ d<hsij aÙtoà ÿwj nefelîn sun£yei
Der Verehrer* in Wohlgefallen aufgenommen wird, und die Bitte sein bis zu Wolken grenzt**.
(* therapeuon kann auch Diener, gut Sorgender, wer jemanden ehrt, Pfleger, Heiler heißen)
(** synapsei ist zusammenknüpfen, intransitiv (also ohne Objekt, wie hier) anstoßen, angrenzen, berühren)

Da stellen sich mir zwei Fragen: Wie kam man ursprünglich zu einem ganz anderen Test, und: Gibt es irgendwo eine Zusammenstellung der wesentlichen Änderungen, damit man sich schnell überblicksweise informieren kann, was neuerdings Sache ist?

Antworthinweise willkommen.

Bei Zeitungslesen an den Papst denken

Der gegenwärtige Papst beschränkt sich bekanntlich bei der Nachrichtenaufnahme auf das Nötigste. Ist es da nicht nützlich, wenn gelegentlich wenigstens irgendjemand beim Zeitungslesen an ihn denkt, quasi um die Kluft zwischen Information und Papst geistlich überwinden zu helfen?

Jedenfalls riefen folgende Zeilen aus der FAZ mir unwillkürlich die päpstliche Gesetzesaversion und Spontanredeneigung in Erinnerung:
Das Recht steht für das Allgemeine, das in gemeinsamer, vernunftgeleiteter Suche gefunden werden muss. Darin liegt die Überwindung des egoistischen Selbstbezugs, der Nachgiebigkeit gegenüber momentanen Stimmungen, der Beschränkung der Perspektive auf den eigenen Erfahrungsbereich.

Wer im Internet politisch agiert [oder in Flugzeugen Interviews gibt?], ist nicht genötigt, in den genannten Dimensionen zu denken. Er kann ganz im Gegenteil seine Vorurteile ausleben und fehlenden Sachverstand durch Radikalität des Urteils ersetzen. Das fällt umso leichter, als hier Gefühlsäußerungen bereits als Wert gelten. Mit „likes“, also rein quantitativ gemessener Zustimmung, werden eigene Meinung und eigenes Ego aufgewertet. Politisches Urteil und geistige Anstrengung werden entkoppelt.


Donnerstag, 20. Oktober 2016

Zweck oder Folge

Das scheinbar dunkle Herrenwort, das die Heilige Mutter Kirche uns heute zur Betrachtung vorlegt („Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern Spaltung.“), verliert sein Geheimnis sofort, wenn man unterscheidet, dass die Spaltung kein Selbstzweck ist und angestrebt wird, sondern eine Folge der Entscheidung, zu welcher der Herr auffordert: Die Umkehr zu Gott enthält notwendig eine Abkehr von weltlichen Gewohnheiten, die wiederum zu Konflikten mit denen, die daran festhalten wollen, führen muss.

In diesem Lichte lässt sich auch die anderswo in diesem Internet aufgeworfene Frage, ob der gegenwärtige Papst wohl ernstlich meine, ein Glaube ohne Werke sei tot, erhellen.

Sind barmherzige Werke ein Zweck der Kirche oder der Christusnachfolge? Paulus begründet im Römerbrief ausführlich sein Nein. Die Selbsterlösung durch fromme Werke funktioniert nicht. Erlösung ist Gnade, wird ungeschuldet von Gott geschenkt und durch Glauben angenommen. Dabei bleibt sie aber nicht stehen, sondern die Gnade überfliesst, sozusagen, wie der Psalmist festhält: „Wohl dem Mann, der … Freude hat an der Weisung des Herrn, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht.“ (also seinen Glauben vertieft, denn:) „Er ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt“. Werke sind die Frucht (oder Folge) des Glaubens, ein Ausfluss der empfangenen Gnade. Oder wie der Aposteln den Ephesern mitteilt: „Durch den Glauben wohne Christus in eurem Herzen. In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, … die Liebe Christi zu erkennen, die alle Erkenntnis übersteigt.“ Das Erkennen, das die (rein verstandesmäßige) Erkenntnis übersteigt, ist ein Einsehen, Erfahren, Gesonnensein, das nicht im Wissen stehen bleibt. Oder wie Papst Benedikt lehrte: Das Wort Gottes ist nicht informativ, sondern performativ; es gibt nicht Wissen weiter, sondern bewirkt etwas: es formt den, der es aufnimmt, um, macht ihn Christus gleichförmiger. Und aus dieser Nachahmung Christ folgen barmherzige Werke.

Damit lässt sich im Umkehrschluss sagen: wo keine Werke sind, wird wohl auch der Glaube nicht sehr groß sein. Nicht aber ist gemeint: wenn wir nur eifrig Werke täten, würde der Glaube sich schon einstellen (oder gar entbehrlich). Wer sich nur auf sich selbst verlässt, ist quasi gottverlassen (die ganze Bibel, passim). Fest im Gottvertrauen gegründet, entwickelt die Kirche (und der einzelne Christ) die Kraft („Dynamik“) und Wirksamkeit („Energie“), die sie aus sich selbst nicht aufbringen kann.

Daher ist Anfang und Ende, Quelle und Ziel des kirchlichen Tuns die Danksagung, denn Gott „werde verherrlicht durch die Kirche und durch Christus Jesus in allen Generationen, für ewige Zeiten. Amen.“ (Eph 3,21).

Es bleibt zu hoffen, dass der gegenwärtige Papst bei aller Werkversessenheit nur nicht erwähnt (und nicht etwa vergessen) hat, worin die Gabe Gottes besteht.

Montag, 3. Oktober 2016

Hammers bald

Wer je sich mit kleinen Kindern auf eine Urlaubsreise begab, mag wohl auch den hochfrequenten Refrain, der, sobald die heimatliche Behausung dem Blick entschwindet, einsetzt, im Ohr haben: „Sind wir schon da?“

So ähnlich mag sich Jesus vorgekommen sein, als seine Jünger ihn um Mehrung des Glaubens baten, wohl meinend, sie hätten es fast geschafft, das Ziel müsste doch gleich erreicht sein, es fehlte nur noch ein Stückchen – worauf der Herr sich bemüßigt sah, grundlegend zu erläutern, dass es sich mit dem Glauben oder der Heiligkeit in etwa so verhalte wie mit dem Schwangersein: ein bisschen mehr oder weniger ist nicht – es ist eine Frage von entweder/oder.

Zwar mag der Betroffenen selbst ihr Zustand noch nicht bewusst sein, aber wenn sie schwanger ist, kann nichts mehr getan werden, um sie noch schwangerer zu machen. Und wenn jemand heilig ist, mag es zwar nicht allen Mitmenschen immer sofort auffallen, aber der entscheidende Schritt ist getan. Und wenn die Jünger um etwas mehr Glauben bitten, verkennen sie, dass – wenn sie auch nur ein mikrowinziges Portiönchen Gottvertrauen hätten – weiteres gar nicht erforderlich wäre, da sich die Kraft des Glaubens von selbst Bahn bräche.

Ja aber, möchte man sagen, haben wir nicht Haus und Hof verlassen, Dämonen in deinem Namen ausgetrieben und was nicht alles für Aktion veranstaltet, von denen wir meinten, sie zeigten unseren Glauben?!

Hm, antwortet der Herr, und welcher Art Lob genau erwartet ihr jetzt dafür? Wenn ein Sklave seine Arbeit halb gemacht hat, kehrt sich dann das Verhältnis von Sklave und Meister um? Aber gar nicht, sondern der Rest ist auch noch zu erledigen. Und wenn ihr euch für eure frommen Werke auf die Schulter klopft, meint ihr, damit hammer’s bald? Nein, vielmehr ist des Armen, der wie ein Bettler vor Gott zusammengekauert um den Heiligen Geist fleht, das Himmelreich, will sagen, wenn die Liebe Gottes, die ausgegossen ist in eure Herzen durch den Heiligen Geist, in euch zur lebendigen sprudelnden Quelle wird, dann geht hin und tut was ihr wollt – ihr steht nicht mehr unter einem Gesetz, das den einzelnen Handschlag regelt, sondern ihr bringt die Frucht des Geistes hervor, das ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Mäßigkeit.

Und wenn ihr ein bisschen schwanger, heilig oder gläubig seid, davon aber selbst noch nicht soviel merkt, wird dennoch zur bestimmten Zeit die Verheißung erfüllt; und wenn es noch dauert, dann wartet drauf, denn es kommt, es kommt und bleibt nicht aus. Verzagt also nicht, denn der Geist, der euch gegeben ist, ist kein Geist der Feigheit, sondern ein Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Bewahrt vielmehr das euch anvertraute kostbare Gut durch die Kraft des Heiligen Geistes, der in euch wohnt.

Eure Glaube ist nichts, was trippelschrittchenweise vermehrt werden müsste – er wird euch ein für alle Mal komplett im Paket geschenkt, und alles, was fehlt, ist, dass ihr aus ihm lebt.



[Hinweis für den Leser, der wegen Erntedank auf die Schnelle nicht aussortieren kann, auf welche Perikope hier eigentlich bezug genommen werden soll: Guckstu hier]

Dienstag, 23. Februar 2016

Abschiede in Trier

In einem Brief an alle Trierer Bischöfe erläutert Pfr. Dr. Helmut Gehrmann seine Anfragen an die „Trierer Synode“. Ein Punkt aus der in ihrer ganzen (erheblichen) Länge lesenswerten Analyse der „Empfehlungen“ der Synode:
Dort heißt es, unter der Überschrift „Abschiede“ unter Punkt 2.: „Wir nehmen Abschied von der Vorstellung, dass alle Gläubigen das Bedürfnis haben, am Sonntag die heilige Messe oder sonstige Gottesdienste zu besuchen; das gilt auch für die in der Kirche Engagierten.“
Diese Passage ist ganz bezeichnend für die heutige Kirchenkrise. Generell wird aus der Kapitulation vor dem faktischen Verhalten vieler Getaufter ein Maßstab für die Entscheidungsfindung der Kirche abgeleitet.
Dem hält Pfr. Gehrmann (unter vielem anderen) zu Recht entgegen:
Sakramente … sind nicht im Grunde verzichtbare Garnierungen unserer „geistlichen Freizeitgestaltung“.
Ein Kontrast wird gezeichnet: in den Ordinariaten wird ein „Kasernenhofton wiederentdeckt, an den sich selbst Mitbrüder von Weihejahrgängen der 50er Jahre nicht mehr erinnern können“, der sich an den Reaktionen den Priestern gegenüber zeigt:
Wer sich als Priester den strukturellen Neuentwicklungen versagt, und irgendwelchen sekundären administrativen Direktiven nicht sofort nachkommt, hat mit unverhältnismäßig scharfen Reaktionen zu rechnen.
Die in der Diözesansynode versammelten („engagierten“, aber dem Glaubensleben und den Sakramenten entfremdeten) Laien scheinen das nicht zu kennen:
Schon die erstaunlich muntere Ungeniertheit, mit der die Aufgabe der Sonntagspflicht vorgetragen wird, deutet darauf hin, dass die Synodalen nicht mehr mit einschränkenden oder korrigieren Direktiven seitens der Bistumsleitung rechnen.
Dieser Eindruck wurde auf dem Priestertag durch den Einwurf bestätigt, viele Empfehlungen der Synode könnten wegen der Höhe der anfallenden Kosten gar nicht umgesetzt werden. Wenn die theologische Beurteilung mancher „Empfehlungen“ offenbar keine entscheidungsrelevante Rolle mehr spielt, muss die, als Beruhigung der Priester gedachte Bemerkung, ungewollt Anlass für Befürchtungen werden.
Gegen Ende fasst der Autor seine Befunde zusammen:
Die „Empfehlungen“ der Trierer Synode bedeuten in mancher Hinsicht nicht nur ein Aufweichen des sakramentalen Priestertums in der Praxis …, sondern sind geeignet, dem Wunsch nach einer anderen, insgesamt entsakramentalisierten Kirche zu entsprechen. …In den Vorschlägen der Synodalen wird eine Haltung erkennbar, die im Priestermangel keinen bedauerlichen Missstand erkennt, sondern die Chance erkennt, die Option eine entsacerdotalisierte Glaubensorganisation entwickeln zu können. Es wird der Entwurf einer Glaubensgemeinschaft sichtbar, die diakonisch, sozialraum- und projektorientiert und natürlich geschlechtersensibel sein will, aber nicht mehr von Umkehr und Heiligung spricht.
Das Erschütternde ist, dass es sich offensichtlich nicht (wie man meinen könnte) um überspitzte Sartire handelt, sondern um (im Text mit Beispielen und Argumenten unterlegte) Lebenswirklichkeit in deutschsprachigen Bistümern.

Kommentiert dazu in der heutigen Lesung der Prophet Jesaja:
Hört das Wort des Herrn, ihr Herrscher von Sodom! Vernimm die Weisung unseres Gottes, du Volk von Gomorra! Wascht euch, reinigt euch! Lasst ab von eurem üblen Treiben! Hört auf, vor meinen Augen Böses zu tun!

Dienstag, 9. Februar 2016

Fasten Burger (kein Rezept)

Drei unkommentierte Sniplets aus dem Internet:

Der Katechismus der Katholischen Kirche (Artikel 2043) zum Fasten:
Das fünfte [Kirchen]Gebot (,‚Du sollst die gebotenen Fasttage halten") sichert die Zeiten der Entsagung und Buße, die uns auf die liturgischen Feste vorbereiten; sie tragen dazu bei, daß wir uns die Herrschaft über unsere Triebe und die Freiheit des Herzens erringen.
Der Freiburger Erzbischof Burger im KNA-Interview zur Fastenaktion:
KNA: Was kann die Fastenaktion, bei der Misereor in den Wochen vor Ostern um Spenden wirbt, hier in Deutschland erreichen?
Burger: Die Fastenaktion will ins Bewusstsein heben, welche Probleme zum Beispiel in Brasilien, aber auch in vielen anderen Regionen bestehen, wenn die politisch Verantwortlichen die Menschenrechte nicht achten. Es geht um die Herstellung von Öffentlichkeit. Und natürlich um finanzielle Unterstützung, ohne die Hilfsprojekte nicht möglich sind.
Das Tagesevangelium:
Der Prophet Jesaja hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir.
Es ist sinnlos, wie sie mich verehren; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen.
Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen.

Sonntag, 31. Januar 2016

Unterschlagung und verweigerte Inklusion

Die zwei überschriftlich erwähnten Skandale nehmen ihren Ursprung zwar mit großem zeitlichen Abstand, fallen aber in Lk 4, 21-30 wieder zusammen.

Den späteren Anstoß erregt die Einheitsübersetzung, die uns weißmachen will, man staunte in der Synagoge von Nazaret darüber, „wie begnadet er redete“, während es in Lk 4,22 mehr wörtlich als zeitgeistig übersetzt heißt:
Und alle stimmten ihm bei und wunderten sich über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund hervorgingen.
durch welche Unterschlagung vollständig der Anklang an die noch frisch im Ohr tönende O-Antiphon vom 17. Dezember („O Weisheit, die du aus des höchsten Mund hervorgingst …“), die – wie ein Kommentar zu Sir 24, 1a.3a („Die Weisheit lobt sich selbst: Ich ging aus dem Mund des Höchsten hervor“) erläutert – „deutlich auf das schöpferische Wort, das vom Mund des Herrn ausgeht und in der Geschichte wirksam wird, verweist“, verloren geht.

Jesus wird also, als er die Erfüllung des Jesaja-Wortes „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen …“ predigt, nicht nur beifällig aufgenommen, sondern von seinen Zuhörern sogar [fast] als der erkannt, der er ist, nämlich das Ewige Wort.

Dann stolpert man aber in die Falle, die unseren zeitgenössischen Kumpel-Jesus-Genossen nur allzu bekannt sein dürfte: „Ist dieser nicht ein Sohn Josephs?“, oder wie man heute gelegentlich sagt: „War unser Mitbruder Jesus nicht ein Wanderprediger, der soziale Gerechtigkeit und beherzten Umweltschutz forderte, die geistlichen Dingen aber mit einer unbedingten Schwamm-drüber-Barmherzigkeit abtat?“.

Jesus aber antwortet ihnen: „Wenn man Gottes Wort auf rein menschliche Aspekte reduziert, nimmt man die Offenbarung nicht richtig an“, bzw. in der damaligen Sprechweise: „Kein Prophet ist in seiner Vaterstadt annehmbar“.

Jesu Anspruch „seit heilig wie ich heilig bin“, „besinnt euch, macht wieder gut, denn Gottes Herrschaft ist zum Greifen nahe, sie ist schon in euch“, „eure Einsicht sagt – ich aber sage, liebt eure Feinde“ ist halt nicht mit beifälligem Nicken zu frommen Worten und Kumbaya-Singen zu erfüllen. Das „Tu du die großen Dinge, die man von dir hört“ erfordert die vollständige Annahme von Gottes Wort.

Diese jesuanische Inklusionsverweigerung, der Ausschluss seiner nazarenischen Mitbürger von seinen Wunderheilungen, führt als Reaktion damals wie heute gerne dazu, dass man Jesus aus der Stadt hinausstößt – Flüchtlingen am Bahnhof die Hand schüttelt, aber vorher sein Bischofskreuz ablegt etwa, oder das Allerheiligste dazu indisponierten Personen austeilen will, um niemanden vor den Kopf zu stoßen, indem man an Jesu Weisung festhielte.
Aktuell bietet das hiesige Bistum Kurse zur "Flüchtlingsseelsorge" an:

Bei der Weiterbildung geht es um psychosoziale Beratung, um rechtliche Fragen sowie interkulturelles Kompetenztraining. Aber auch um Krisenmanagement - wie etwa den Umgang mit Aggressionen oder Ankündigung eines Suizids - und um "Aufmerksamkeit für das Religiöse". Dies sollen ein katholischer Pater und Vertreter jüdischen und muslimischen Glaubens vermitteln.
[Eine Teilnehmerin] kennt sich mit verschiedenen Religionen aus eigener Erfahrung aus. Die junge Frau war Christin, konvertierte aber zum Islam, als sie heiratete. "Aber irgendwie bin ich immer noch beides"
Diese menschliche Herangehensweise bleibt Stückwerk, wie Paulus (1 Kor 13,12) sagt: „Jetzt erkenne [gignosko] ich aus Stücken, dann aber erkenne ich an [epi-gignosko]“.

Der Einheitsübersetzer hat für epi-gignosko „durch und durch erkennen“. epi-gignosko ist aber kein steriles Wissen, sondern ein volles Verstehen; es enthält die Vorstellung der Zustimmung, damit des Gehorsams zu Gottes Wahrheit und Wille.

Gottes Auftrag an die Kirche ist wie der an Jeremia (Jer 1,17): „verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage“. Es gilt auch die anschließende Warnung: „Erschrick nicht vor ihnen, sonst setze ich dich vor ihren Augen in Schrecken.“ Nicht unmittelbar verständlich, aber ein Versuch, das Wortspiel mit chathath zu übertragen.

chathath heißt eigentlich zerbrechen, dann den Mut brechen, erschrecken. Läßt man das Wortspiel beiseite, lautet der Vers: „Sei nicht mutlos vor ihrem Angesicht, damit ich dich nicht zerschmettere vor ihrem Angesicht“.

Der halbherzigen, zaghaften, Zumutbares auswählenden Verkündigung ist kein Segen beschieden – gerade damit wird jede Relevanz aufgegeben – die mutlosen Verkündiger werden vor den Augen der Völker zerschmettert.

Nebenbei: chathath scheint ein Lieblingswort von Jeremia zu sein, denn von den 69 Stellen im AT, an denen es vorkommt, sind 22 in Jeremia. Weitere 13 übrigens in Jesaja, der es auch die Verbindung mit „gürten“ hat, nämlich in Jes 8,9f:
Tobt, ihr Völker, und erschreckt! Und horcht auf, all ihr Fernen der Erde! Gürtet euch und erschreckt, gürtet euch und erschreckt! Schmiedet einen Plan, er geht in die Brüche! Beredet die Sache, sie wird nicht zustandekommen!
Also genau anders als das, was Jeremia gesagt wird: „Du aber gürte dich … Erschrick nicht vor ihnen“, damit der Auftrag gelingt, die Sache zustandekommt. Der Grund für den Unterschied ist in beiden Fällen derselbe: bei Jesaja „Denn Gott ist mit uns“ [und eben nicht mit den Heidenvölkern], bei Jeremia (Jer 1,19) „denn ich bin mit dir“.

Genau das ist auch bei Paulus (1 Kor 13,12) der Grund der Hoffnung auf das epi-gignosko: „dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin“. Der Grund allen Gelingens im heiligmäßigen Leben ist die vorausgehende Liebe Gottes, der uns angenommen und zu seinem Volk gemacht hat.

Bleibt zu hoffen, dass sich die deutschkirchlichen Bischöfe dieses Grundes erinnern, damit es nicht auch bei uns eines Tages heißt „Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.“

Donnerstag, 28. Januar 2016

Bindungsunsichere Seelsorger?

Der Kreuzknappe weist auf einen Artikel des umstrittenen Björn Odendahl auf einem von der DBK finanzierten, aber inhaltlich völlig unabhängigen Portal, bei dem eine Facette der vorjährigen Seelsorger-Studie, die in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, sonst aber wenig wahrgenommen wurde, hervorgehoben wird, hin.

83 Seelsorger, darunter 47 Priester, wurden „strukturiert biographisch“ befragt; die Antworten basierend auf der Bindungstheorie ausgewertet.

Die Bindungstheorie entspross der Psychoanalyse. Viele würden schon an dieser Stelle meinen, es handele sich also weniger um Wissenschaft als um Esoterik – aber mal weiter.

Das Bindungsverhalten von Kindern wird dabei anhand ihrer Reaktionen in einer unbekannten Umgebung, wenn die Mutter rausgeht und wiederkommt, in vier Typen eingeteilt.
  • „Sichere Bindung“: die Kinder spielen, wenn die Mutter da ist, weinen, wenn sie rausgeht, lassen sich von Fremden nicht trösten und suchen, wenn die Mutter wiederkommt, deren Nähe („check back“)
  • „Unsicher-distanziert Bindung“: die Kinder spielen durchgehend, auch wenn die Mutter rausgeht und wiederkommt
  • „Unsicher-ambivalente Bindung“: die Kinder klammern, haben Angst vor Fremden, sind endgestresst, wenn die Mutter rausgeht, und lassen sich auch kaum trösten, wenn sie wiederkommt.
  • „Desorganisiert/desorientierte Bindung“: Verhalten passt in keins der 3 ursprünglichen Schemata.
Die Studie von 1978, mit der das Konzept (mit 3 Typen) eingeführt wurde und bei der weiße US-amerikanische Mittelklassekinder untersucht wurden, zeigte eine Aufteilung von 70% sicher, 20% unsicher-vermeidend, 10% unsicher-ambivalent. (Diese – wie auch die folgenden nicht gekennzeichneten Angaben stammen aus der Einleitung einer einschlägigen Doktorarbeit, in der man die detaillierten Quellenangaben finden kann).

Zahlen dieser Art verwendet auch die Seelsorger-Studie.

Allerdings hängen die Anteile stark von Kultur und Alter ab. Beispielsweise fand man in Norddeutschland viel mehr unsicher-distanzierte Kinder als in Amerika (nicht aber in Süddeutschland). Insbesondere zeigten die Kinder weniger „check backs“, was so gedeutet wurde, dass die Kinder mit ihrem Alleinsein gut zurechtkamen und deshalb der Rückkehr der Mutter weniger Beachtung schenkten. Das liege, argumentierte man, wohl eher an einem anderen Selbstständigkeitsverständnis in Deutschland, weniger an einer Vernachlässigung durch die Mütter.

Auf solche kulturellen Hintergründe geht die Seelsorger-Studie gar nicht ein.

An Erwachsenen bewertet man das (frühere kindliche) Bindungsverhalten, indem man ihnen acht Umrißzeichnungen von Beziehungssituationen zeigt und sie erzählen lässt („The Adult Attachment Projective Picture System“)

Mit diesem Instrument kommt die Studie zum Ergebnis:
Die Befunde weisen auf einen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhten Anteil unsicherer Bindungsrepräsentanzen und damit verbundener psychosomatischer Belastung hin, vor allem in den Geburtsjahrgängen 1933 bis 1945.
Meine Interpretation wäre: im Krieg mussten die Kinder selbständiger sein als in den fetten Jahren der Bundesrepublik (etwa so, wie das 2005 noch in Norddeutschland war), weshalb bei den alten Seelsorgern andere Bindungstypen dominieren als in der „Allgemeinbevölkerung“, die etliches süddeutsches Jungvolk enthält. Die korrekte Vergleichgruppe wäre eher gleichaltrige Personen in anderen Berufen.

Die von den Autoren selbst gezogenen Schlussfolgerungen interessieren mich daher wenig, denn ex falso quodlibet. Aber wie heißt es in Akademikerkreisen: Wer schreibt, der bleibt.