Dienstag, 7. Oktober 2014

Grassierende Alethophobie



1. Eingedenk des Kardinalswortes („Viele unserer Zeitgenossen haben Schwierigkeiten damit, logisch zu überlegen und lange Texte zu lesen.“) aus der Relatio ante disceptationem ist hier ein sehr interessanter, aber auch langer Artikel für den Hausgebrauch absatzweise zusammengefasst:

Da einem Kaplan der Johannes-Prolog zu theologisch (=unverständlich?), aber immerhin ein Hymnus war, predigte er lieber über ‚das Lied als echten Ausdruck menschlichen Empfindens’ als über den Inhalt.
Solcherart werde unter Zeitgenossen die „Vertheologisierung“ des Glaubens seit Paulus korrigiert.
Das zeige sich auch in der EÜ von Lk 1,77, wo statt „Erkenntnis“ rücksichtsvoll „Erfahrung“ des Heils übersetzt wird, weil Erfahrung schließlich unmittelbarer und nicht so verkopft sei.
Weil Erkenntnis zu Wahrheit führe, die als Unterscheidung von wahr und falsch ein „Herrschaftswissen mit dem Willen zur Unterdrückung“ und ganz böse ist, müsse Religion von der Wahrheit befreit werden.
So möchte auch der EKD-Präses die Frage, ob Jesus der verheißene Messias sei, offen lassen, damit man mit den Juden besser auskommen kann.

Wenn Wahrheit auf Denken beruht, muss also schon das schlecht sein; der Autor untersucht die Methoden, wie man zu diesem Schluss kam.
Theologie als Wissenschaft arbeitet, indem sie den Wahrheitsgehalt von Aussagen über Gott überprüft und wahre Aussagen über Gott hervorbringt.
Aussagen enthalten (kommunikationstheoretisch) neben einem sachlichen Inhalt auch Ich-Aussagen über den Sprecher und einen Appell an den Empfänger. Wenn jetzt die beiden letzten Aspekte als allein wichtig angesehen werden, wird eine theologische Aussage reduziert a) zu einem persönlichen Frömmigkeitsbekenntnis (oder Ausdruck einer Gotteserfahrung) und b) zu einem Appell an den Zuhörer im konkreten geschichtlichen Zusammenhang.
Der Inhalt (eine wahre Aussage über Gott) fällt dabei unter den Tisch. Weil eigentlich nur eine (subjektive) Erfahrung in theologische Sprache gehüllt werde, müssten für andere Subjekte andere (zeitgemäße) Formulierungen gefunden werden.Wenn man nur fragt: „Was sagt diese Aussage über den Verfasser und die Religiösität seiner Zeit aus und was wollte der Verfasser damit bewirken?“, wird einem möglichen (überzeitlichen) Wahrheitsgehalt die Berechtigung abgesprochen.Genauso wird die Selbstoffenbarung Gottes (niedergelegt in Glaubenswahrheiten der Kirche) ersetzt durch die persönliche Erfahrung, von Gott geliebt zu sein. Alles, was an theologischen Aussagen darüber hinausgeht, gilt als „blutleere Abstraktion“.
Der Autor weist dann darauf hin, dass „Ich vertraue dir“ im wirklichen Leben davon abhängt, was man von dem Angesprochenen erwartet. So müsse auch im Glauben ausgesagt werden, was von Gott zu erhoffen ist, worauf man eigentlich vertraut – eben die Glaubenswahrheiten.

Dann geht’s ans Eingemachte: Traditionell wird „das Wesen“, wie etwas eigentlich ist, als das Wahre angesehen, wovon abgeleitet ist, wie es konkret erfahrbar wird. In der Moderne wird andersrum das Einzelding als das Wahre und Denken als „blutleere Abstraktion“ im Versuch, das Wahre abzubilden, gesehen.
Mit dieser Sicht geht der Theologie der Gegenstand verloren, weil man mit Nachdenken nichts mehr begreifen kann. Theologische Glaubensaussagen würden dann „die unmittelbare Erfahrung des Angenommenseins in der Liebe Jesu nur verdecken“.
Was bleibt dann? Nach Sloterdijk der Versuch, „gemäß den Produktionsgesetzen des freien Marktes nachfrageorientiert Theologien zu produzieren.“ Die Wahrheit theologischer Verkündigung wäre dann einfach ihr Erfolg beim Publikum.
Als Beispiel wird ein kath.net-Artikel mit 37 Dialog-Forderungen von Mannheim von 2011 zitiert, die sich „frei von jeder theologischen Erwägung“ darauf beschränken, Kirche solle sich zeitgeistkonformer ausrichten.

Die Schlussfolgerung: „Was sollen wir dazu sagen: Der erste Irrtum dieses ganzen modernistischen Denkens in all seinen Spielarten ist der der Leugnung des Offenbarseins Gottes in seiner Kirche. Gott hat sich nicht nur in Jesus Christus einmal offenbart, sondern Jesus hat seine Kirche gegründet, damit in ihr das Offenbarungsgeschehen offenbar bleibt kraft des Heiligen Geistes. Daß Gott in seiner Kirche schon erkannt und begriffen ist im Glauben der Kirche, der dem individuellen Glauben so vorausgeht, wie das System der Sprache dem einzelnen gesprochenen Satz , so daß es gilt, daß der persönliche Glaube im Glauben der Kirche wächst, das nicht erkennen zu wollen, destruiert die Kirche und ihre Theologie.“


2. Zur Erläuterung des gewählten Titels: dem Trend, Andersmeinenden böse, auf –phobie endende Motive zu unterstellen, folgend, schlage ich vor, den traditionell verwendeten Begriff „Relativismus“ durch "Alethophobie" zu ersetzen, welcher bedeutet: 'lähmende Angst vor Wahrheit oder Unfähigkeit, unangenehme Tatachen über sich selbst anzunehmen', was gleich zwei Grundübel unserer Zeit erschlägt.

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