Mittwoch, 8. Oktober 2014

Descartes-Schreiben vom 6. Oktober zur Synode



Wenn ich glaubte, daß das höchste Gut die Freude wäre, würde ich nicht daran zweifeln, daß man versuchen müßte, um welchen Preis auch immer fröhlich zu werden, und ich würde die Roheit derer billigen, die ihren Kummer in Wein ertränken oder ihn mit Tabak betäuben.
Ich unterscheide aber zwischen dem höchsten Gut, das in der Ausübung der Tugend (oder -  was dasselbe ist – im Besitz aller Güter, deren Erwerb von unserem freien Willen abhängt, besteht), und der aus diesem Erwerb folgenden Befriedigung des Geistes.
Da ich aber sehe, daß es eine größere Vollkommenheit bedeutet, die Wahrheit zu kennen, auch wenn sie zu unserem Nachteil ist, als sie nicht zu kennen, muß ich gestehen, daß es mehr wert ist, weniger froh zu sein und dafür mehr Kenntnis zu besitzen. So hat man auch nicht immer, wenn man am fröhlichsten ist, den zufriedensten Geist; die großen Freuden sind im Gegenteil gewöhnlich düster und ernsthaft, und nur die mittelmäßigen und vorübergehenden sind von Gelächter begleitet. Daher billige ich es nicht, daß man sich mit dem Ergötzen an falschen Einbildungen zu täuschen versuche; denn alles daraus hervorgehende Vergnügen kann nur die Oberfläche der Seele berühren, die indessen eine innere Bitternis empfindet, wenn sie seiner Falschheit gewahr wird.

(Descartes an Elisabeth von der Pfalz, 6. Oktober 1645)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen